Turgenjew

Turgenjew
Turgẹnjew,
 
Turgẹnev [-njef], Iwan Sergejewitsch, russischer Schriftsteller, * Gut Spasskoje (bei Orel) 9. 11. 1818, ✝ Bougival (bei Paris) 3. 9. 1883; entstammte einer Adelsfamilie, studierte in Moskau und Sankt Petersburg, dann 1838-41 in Berlin, wo er die Philosophie G. W. F. Hegels kennen lernte; lebte seit 1855 vorwiegend im Ausland (v. a. in Frankreich und Deutschland) und war mit führenden französischen und deutschen Dichtern befreundet, u. a. mit G. Flaubert, P. Mérimée, T. Storm und G. Freytag; er war lange mit der französischen Sängerin Pauline Viardot verbunden.
 
Turgenjew begann seine literarische Tätigkeit mit noch der Romantik verpflichteten Versdichtungen und Erzählungen sowie Dramen, die - damals wie heute - nur selten gespielt werden (»Nachlebnik«, 1848, deutsch »Gnadenbrot«; »Mesjac v derevne«, 1855, deutsch »Ein Monat auf dem Lande«), Stücke, die in ihrer Handlungsarmut und der Feinheit ihrer Charakter- und Stimmungszeichnung Züge der Dramatik A. P. Tschechows vorwegnahmen. Weite Anerkennung fand Turgenjew erst durch die »Zapiski ochotnika« (1852; deutsch »Aufzeichnungen eines Jägers«), eine Sammlung von Erzählungen in Ichform aus dem russischen Provinzleben, die durch die Darstellung der Lebensumstände der russischen Bauern als Protest gegen die Leibeigenschaft aufgefasst werden mussten, sich darüber hinaus aber durch subtile Naturschilderungen und sprachlich-stilistische Feinheit auszeichnen. Es folgten Romane und Novellen, die sich auch thematisch deutlich unterscheiden. Die Romane zeichnen ein Panorama der zeitgenössischen russischen Gesellschaft, wobei sich Turgenjew als Meister in der Erfassung von Zeitströmungen, der Darstellung passiver Charaktere, versagender Fortschrittler, skeptischer »Nihilisten« und »überflüssiger« Intellektueller, denen der Antrieb zum Handeln fehlt, zeigt (»Otcy i deti«, 1862, deutsch »Väter und Söhne«; »Nakanune«, 1860, deutsch u. a. als »Am Vorabend«; »Dym«, 1867, in: Russkij vest'nik; deutsch u. a. als »Rauch«). Demgegenüber behandeln die Novellen, die formal von der Briefnovelle (»Faust«, 1856; deutsch) bis zur stilisierten Renaissancenovelle (»Pesn' toržestvujuščej ljubvi«, 1881; deutsch »Das Lied der triumphierenden Liebe«) reichen, vorwiegend allgemein menschliche Themen, besonders das Liebesthema (»Asja«, 1858, deutsch »Assja«; »Pervaja ljubov'«, 1860, deutsch »Erste Liebe«). Das Alterswerk ist, u. a. unter dem Einfluss A. Schopenhauers, von düsterer und tragischer Weltsicht geprägt. Seine »Stichotvorenija v proze. Senilia« (1882; deutsch »Gedichte in Prosa«), kunstvoll stilisierte Prosaskizzen über Themen wie Natur, Liebe, Tod, knüpfen an C. Baudelaires »Poèmes en prose« an.
 
Weitere Werke: Romane: Rudin (1856; deutsch); Dvorjanskoe gnezdo (1859; deutsch Das adelige Nest, 2 Teile); Nov' (1877; deutsch Neuland).
 
Novellen und Erzählungen: Mumu (1854; deutsch); Dva prijatelja (1854; deutsch Zwei Freunde); Vešnie vody (1872; deutsch Frühlingsfluthen); Klara Milič (1883; deutsch Klara Militsch).
 
Ausgaben: Polnoe sobranie sočinenij i pisem, auf 30 Bände berechnet (21978 folgende).
 
Gesammelte Werke in Einzelbänden, herausgegeben von K. Dornacher, 10 Bände (1979-85); Das erzählerische Werk, 4 Bände (1983); Gustave Flaubert und Ivan Turgenev. Briefwechsel 1863-1880, herausgegeben von P. Urban (1989); Erzählungen 1857-1883. Gedichte in Prosa, übersetzt von E. von Baer und M. Gras-Racic (21998).
 
 
A. Yarmolinsky: Turgenev. The man, his art and his age (Neuausg. New York 1977);
 W. Koschmal: Vom Realismus zum Symbolismus. Zu Genese u. Morphologie der Symbolsprache in den späten Werken I. S. Turgenevs (Amsterdam 1984);
 S. McLaughlin: Schopenhauer in Rußland. Zur literar. Rezeption bei Turgenev (1984);
 A. I. Batjuto: Tvorčestvo I. S. Turgeneva i kritiko-ėstetičeskaja mysl' ego vremeni (Leningrad 1990);
 J. B. Woodward: Metaphysical conflict. A study of the major novels of Ivan Turgenev (München 1990);
 R.-D. Kluge: Ivan S. Turgenev. Dichtung zw. Hoffnung u. Entsagung (1992);
 
Ivan S. Turgenev: Leben, Werk u. Wirkung, hg. v. P. Thiergen (1995);
 C. Dolny: Literar. Funktionen der Personeneigennamen in den Novellen u. Erzählungen von I. S. Turgenev (Bern 1996);
 V. N. Toporov: Strannyj Turgenev (Moskau 1998).

Universal-Lexikon. 2012.

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